Nach 20 Jahren Behörden-Mikado und zehn Jahre nach den Niederlanden testet Deutschland endlich Cell Broadcast – mit einem freiwilligen Warntag voller Spekulationen und verwirrenden Aussagen im Vorfeld. Zwar begrüßt die AG Kritis diese Initiative des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), wir denken allerdings, dass sie nicht weit genug geht.
In diesem Zusammenhang fordern wir vom BBK, dass es eine Testumgebung für Cell Broadcast schafft. In dieser soll jeder – nach Terminvereinbarung – testen können, ob seine Endgeräte die Cell-Broadcast-Nachrichten empfangen können. Ferner benötigen wir eine öffentliche Datenbank, in der beispielsweise im Internet verfügbaren Anleitungen hinterlegt sind. Mit den Informationen kann der Empfang von Cell-Broadcast-Warnungen konfiguriert und aktiviert werden.
Werbekampagne zu Cell Broadcast notwendig
Ebenso verlangen wir von der Bundesregierung, dass diese eine Werbekampagne zu Cell Broadcast organisiert, analog zur niederländischen Kampagne bei der Einführung von NL-Alert. Der heutige Test von Cell Broadcast kommt spät – zu spät. Das Bundesministerium des Innern (BMI) wusste bereits 2001 darüber Bescheid, dass sich diese Technologie für Katastropheninformation- und Warnung eignet, denn so steht es im zweiten Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern (BMI).
Selbstverständlich ist dies nicht die einzige Erwähnung, wohl aber die Erste. Weiterhin gibt es Datenspuren eines Projekts der Bundesnetzagentur, die sich in den Jahren 2006/2007 sowie 2007/2008 im Rahmen der Mitwirkung an der europäischen Arbeitsgruppe “ETSI EMTEL” (Europäische Institut für Telekommunikationsnormen) mit Cell Broadcast beschäftigt hat. Auch das BBK hat zusammen mit dem BMI im Jahr 2008 angekündigt, 2009 ein Projekt unter Beteiligung des BBK zur Untersuchung von Cell Broadcast zu starten. Sogar die erfolgreiche Inbetriebnahme des niederländischen Systems NL-Alert konnte in der deutschen Politik nichts bewegen, obwohl diese beobachtet wurde.
Als dann 2018 die EU die Richtlinien zum mobilfunkbasierten Katastrophenwarnsystem EU-Alert erlassen hat, reichte auch das nicht, um endlich Bewegung in die Umsetzung zu bringen. Stattdessen wurde von deutscher Seite aus Zeit verschwendet auf den Versuch, die EU-Alert Regulierung dahin gehend aufzuweichen, dass die Warn-Apps NINA und KatWarn als gleichwertig eingestuft werden. Auch dieser Versuch scheiterte.
Zu wenig Ressourcen für Warnungen
Als dann der Warntag 2020 missglückte, wurde das Thema Cell Broadcast wieder nicht priorisiert. Stattdessen wurde genau jener Behördenleiter des BBK abberufen, der Monate vor dem Warntag 2020 im Ausschuss Digitale Agenda vor genau so einem Ausgang warnte und bemängelte, nicht die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu haben. Erst 2021, direkt im Nachgang der Ahrtal-Katastrophe, entschied der damalige Innenminister Horst Seehofer dann endlich, das Thema politisch auf die Agenda zu setzen und zu priorisieren.
Ich kann das Verhalten des BMI nicht nachvollziehen und bin davon überzeugt, dass ein Untersuchungsausschuss notwendig wäre. Schließlich sind Menschen gestorben, die sich – bei rechtzeitiger Warnung – noch in Sicherheit hätten bringen können. Insgesamt 6 verschiedene Innenminister tragen hier Mitverantwortung, denn so viele Innenminister hatten wir, seit Cell Broadcast erstmals in Regierungsdokumenten im Kontext der Kriseninformation erwähnt wurde.
Warntag ist ein Testlauf
Dieses wichtige Projekt so spät anzugehen, ist grob fahrlässig. Genauso wichtig wie die parlamentarische Aufarbeitung dieser enormen Verzögerung – die sicherlich Menschenleben gekostet hat – ist es jetzt aber, den Warntag als das zu verstehen, was es ist: ein Testlauf.
Es gab diesen Testlauf in Deutschland, um herauszufinden, was nicht funktioniert. Wenn die Presse voll davon ist, was alles nicht geklappt hat, dann sollten wir Bürger und Bürgerinnen dies begrüßen. Nur wenn wir solche Tests machen, können wir Fehler im System finden, ohne dass Menschen in Gefahr sind. Ein Fehlschlag des heutigen Warntags wäre also eigentlich etwas Gutes – sofern daraus seitens der Ministerien und Behörden gelernt wird, Fehler nicht unter den Teppich gekehrt werden und nicht nur der Behördenleiter als Bauernopfer geschasst wird.
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